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  • Gerhard Preschitz

Risiken und Nebenwirkungen digitaler Medien in Gesundheit, Bildung und Gesellschaft

Reflexion eines Vortrages von Univ. Prof. Dr. Manfred Spitzer (Neurobiologe und Ärztlicher Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm)



An digitalen Medien führt heute und in Zukunft kein Weg vorbei. Die dadurch eröffneten Möglichkeiten wirken in fast alle Lebensbereiche hinein - auf großartige Weise. Allerdings: Welche nachteiligen Auswirkungen übermäßiger Konsum dabei aber erzeugt, erlebe ich tagtäglich in meiner Praxis, wenn ich mit Patienten arbeite, die unter Schlafstörungen, Depressionen oder Überlastungsreaktionen infolge digitaler Reizüberflutung leiden.

Die Risiken des Konsums digitaler Medien zu kennen wird unverzichtbar, um einen verantwortungsvollen Umgang damit pflegen zu können. Ganz besonders

gilt dies für Kinder und Jugendliche im Hinblick auf deren körperliche und seelische Gesundheit im späteren Leben. Ende letzten Jahres nahm ich daher an einem Fortbildungsvortrag von Manfred Spitzer mit dem Titel „Digitales Unbehagen - Risiken und Nebenwirkungen digitaler Medien in Gesundheit, Bildung und Gesellschaft“ an der SFU Wien teil. Beeindruckt von der Eindeutigkeit und Wichtigkeit des Inhalts entschloss ich mich, hier nun eine Zusammenfassung zu veröffentlichen.


Hintergrund


Die digitale Transformation hat dazu geführt, dass wir digitale Endgeräte wie Smartphones, Laptops, Tablets, PC oder TV in hohem Ausmaß verwenden, teilweise mehr als 10 Stunden täglich. Dies ist für vieles sehr nützlich, beeinflusst aber die menschliche Gesundheit, Bildung und Gesellschaft vielfach negativ, richtet also auch großen Schaden an.

Denn körperliche Folgen wie Haltungsschäden, Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Kurzsichtigkeit, Schlafstörungen, stressbedingte Infektionen, ja sogar Krebserkrankungen, genauso wie erhöhtes Risikoverhalten sind seit längerem bekannt und erwiesen. Das Ausmaß dieser Schäden ist vermutlich vielen Menschen nicht bewusst.


1) Kurzsichtigkeit


Hohe Bildschirmnutzung, speziell durch Smartphones oder Tablets, bei denen der Abstand zum Auge relativ niedrig ist, bewirkt bei Kindern und jungen Erwachsenen bis zum 25. Lebensjahr ein bis zum 2,5 fachen erhöhtes Augenlängenwachstum, wodurch sich das Auftreten von Kurzsichtigkeit gewaltig steigert. Wir sprechen hier von einer Verdopplung auf knapp unter 50 % der Weltbevölkerung voraussichtlich bis zum Jahr 2050.

Das lässt sich zwar weitgehend mit Brillen ausgleichen, viel wesentlicher dabei ist aber das Risiko für Erblindung ab dem 50. Lebensjahr, welches vor allem mit hochgradiger Kurzsichtigkeit verbunden ist. Die dafür relevante Zahl der hochgradig kurzsichtigen Menschen wird sich bei Trendfortsetzung sogar verfünffachen. In China und Südkorea, wo der Anteil der Nutzung digitaler Medien schon etwas früher sehr hoch war, liegt der Anteil der kurzsichtigen jungen Menschen schon jetzt bei über 80%.

Das sind alles in allem besorgniserregende Zahlen.


Die Prophylaxe von Kurzsichtigkeit ist möglich - hauptsächlich über die Reduktion bzw. Vermeidung von Bildschirmzeiten. Vor allem Aufenthalte im Freien mit höherer Lichtintensität sind besonders wertvoll.

Dies gilt für Kinder und junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren, danach ist das Längenwachstum der Augen abgeschlossen.


2) Schlafstörungen


Schlafstörungen sind als direkte Folge von Bildschirmzeiten erwiesen. Selbst das reine Musikhören übers Handy ist mit schlechterer Schlafqualität verbunden, Chatfunktionen oder Cyberbullying wirken sich besonders schwerwiegend aus.


Nun sind Schlafstörungen für Betroffene per se ohnehin schon belastend, darüber hinaus erhöhen sie auch noch das Risiko für Bluthochdruck und Diabetes, was wiederum mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte verbunden ist. Dem Risiko für potenziell tödliche Erkrankungen also.


Als Prophylaxe ist ein Abstand von einer, besser zwei Stunden zwischen Bildschirmzeit und Schlafengehen besonders wichtig, darüber hinaus ist die Verwednung von Blaulichtfiltern sinnvoll.


3) Übergewicht


Einer Studie der WHO zufolge erreichen 27,5% der Erwachsenen sowie unglaubliche 81% der Kinder und Jugendlichen nicht das absolute Mindestmaß für körperliche Aktivität von 150 Minuten pro Woche, wobei Spazierengehen dabei schon als Aktivität gilt.


Die mit erhöhter Bildschirmnutzung verbundene reduzierte körperliche Aktivität führt direkt zu Gewichtszunahme, was in COVID-Lockdown Zeiten besonders deutlich beobachtbar war. Erwiesenermaßen werden aus 70% der übergewichtigen Kinder später auch übergewichtige Erwachsene. Dadurch steigt die Sterblichkeit, speziell in den reicheren und entwickelten Ländern, unausweichlich und sehr deutlich an.


Schätzungsweise werden dadurch allein in der aktuellen Dekade von 2020 bis 2030 weltweit zusätzlich ca. 500 Millionen (!) Menschen ernsthaft erkranken, davon 47% an Bluthochdruck und dessen Folgeerkrankungen sowie ca. 43% an Depressionen.


4) Seelische Schäden


Sucht, Aggressivität, Angst, Depression, weniger Lebenszufriedenheit und weniger Empathie.


Bei den sogenannten „nicht stoffgebundenen Süchten“ handelt es sich um Phänomene, die neurobiologisch den stoffgebundenen Süchten äquivalent sind und sich im Verhalten darüber hinaus auf vielfältige Art zeigen: Stetiger Drang danach trotz des Wissens über die negativen Folgen, Aggressivität bei Entzug, Verschlechterung der Beziehungen zu Freunden oder Familie, usw.


Computer-, Smartphone- oder Internetsucht zählen ganz eindeutig zu dieser Art von Süchten.


Nachweislich erhöht die Nutzung von sozialen Medien wie Facebook, Instagram, Tik Tok usw. aber auch die Rate der Depressivität und bewirkt reduzierte Lebenszufriedenheit. Unter anderem deswegen, weil der Vergleich mit scheinbar perfekten Körper- und Rollenbildern für viele, vor allem junge Menschen, in hohem Ausmaß deprimierend ist. Klar ist auch, dass Depressivität mit einem erhöhten Risiko für Suizide einhergeht, so hat sich die Zahl der Suizide von Jugendlichen in den USA in den Jahren 2010 bis 2020 verdoppelt.

Wie schön wäre es, wenn es anders wäre, aber das sind nun mal die Fakten.


Erschreckend ist auch der negative Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Empathie: je mehr Bildschirmzeit, desto mehr sinkt die Fähigkeit, sich emotional und kognitiv in andere Menschen hineinzuversetzen. Studien mit mehreren tausend Teilnehmern liegen dieser Erkenntnis zugrunde.


Ergänzend noch das Ergebnis einer Studie, die den Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit von einjährigen Kindern einerseits und Autismus Spektrum Störungen ab dem dritten Lebensjahr andererseits verglichen haben: Bei Mädchen ergab sich kein Zusammenhang, bei Buben führte Bildschirmzeit im Alter von einem Jahr zu signifikant erhöhten Raten von Autismus-Spektrum-Störungen im Alter von 3 Jahren, und zwar je mehr Bildschirmzeit, desto deutlicher.

Kurios, aber wahr.


5) Schäden in der Gehirnentwicklung und der Bildung


Ergebnisse mehrerer Studien mit vielen tausend Kindern und Jugendlichen zeigen: Bildschirmmedien haben einen sehr großen - negativen - Effekt auf die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie bewirken geringere Aufmerksamkeitspannen, niedrigere Konzentrationsfähigkeit sowie deutlich niedrigere Gedächtnisleistungen und dadurch weniger Wissen und weniger Fähigkeiten in allen Lebensaltern.


Das gilt daher genauso für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Nachweislich führt eine Erhöhung des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht zu einer Verschlechterung der kognitiven Leistungen – und eben nicht zu einer Verbesserung, wie häufig zu hören ist. Gemessen wurde das unter anderem am Pisa-Mathematik-Test der Kinder und Jugendlichen. Weniger (und nicht mehr) Einsatz digitaler Medien im Unterricht wäre also das Gebot der Stunde.


Fazit


An digitalen Medien führt jetzt und in Zukunft kein Weg vorbei.


Aufgrund der bekannten gesundheitlichen Folgen wie erhöhtem Risiko für Erblindung, Schlafstörungen, Übergewicht, seelischen Schäden sowie Schäden in der Gehirnentwicklung und der Bildung, gilt eindeutig: Weniger ist mehr! Jedenfalls was die Nutzung digitaler Medien betrifft.


Für Eltern: Es macht die Kindererziehung nicht unbedingt einfacher, aber bis zum Alter von drei Jahren stellt der Verzicht auf Bildschirmaktivitäten das Mittel der Wahl dar - und danach auch nur ganz geringe Dosen.

Es handelt sich um einen wesentlichen Beitrag für die körperliche und seelische Gesundheit Ihrer Kinder.





Quelle:

Manfred Spitzer: Digitales Unbehagen - Risiken und Nebenwirkungen digitaler Medien in Gesundheit, Bildung und Gesellschaft (Vortrag an der SFU Wien, 14.11.2022)


Link zum Vortrag:

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