top of page
Gerhard Preschitz

Brainspotting – die Augen als Fenster zur Seele



"Wo man hinschaut, beeinflusst, wie man sich fühlt."

Auf den ersten Blick klingt das einigermaßen verblüffend. Vor allem handelt es sich dabei um ein Phänomen, das viele Möglichkeiten eröffnet, von der Überwindung von Leistungsblockaden im Sport bis hin zur Traumatherapie.


Der Begriff "Brainspotting" wurde vom US-amerikanischen Psychoanalytiker Dr. David Grand geprägt, wobei "brain" übersetzt "Gehirn" und "spotting" (von „to spot“) "erkennen", "erblicken", "ausfindig machen" bedeutet. Brainspotting nutzt das Gesichtsfeld, um relevante Augenpositionen (sogenannte „Brainspots“) zu finden, die implizite Gedächtnisinhalte und entsprechende innere Erfahrungen neurologisch aktivieren.

Zusammengefasst bedeutet das eben: "Wo man hinschaut, beeinflusst, wie man sich fühlt." Offenbar werden mit Augenpositionen Erinnerungsspeicher im Gehirn abgerufen.


Hintergrund


Während eines traumatischen Ereignisses strömen überwältigende Eindrücke auf die belastete Person ein, die von ihr häufig nicht in ihr explizites Gedächtnis übernommen werden. Diese Eindrücke sind meistens nur indirekt abrufbar oder völlig vom Bewusstsein abgespalten. Im zweiten Fall spricht man von „Dissoziation“. Durch die Desynchronisierung von explizitem und implizitem Gedächtnis bei traumatischen Erlebnissen können beispielsweise bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) die Traumainhalte oft nicht verbal, also explizit, abgerufen werden und sind teilweise mit einer dissoziativen Amnesie verbunden.



PatientInnen werden in der Therapie angeleitet, sich in einen Zustand „fokussierter Aktivierung“ zu versetzen, der in aller Regel eine Reaktion auf ein vorangegangenes Psychotrauma oder die darauf bezogenen emotionalen oder körperlichen Symptome darstellt. Dabei wird der Brainspot ermittelt, das ist jene Augenposition, die mit der höchsten Körperaktivierung und emotionalen Empfindungen einhergeht. Über die Aktivierung des Brainspots werden diese Empfindungen erneut verarbeitet, solange bis eine vollständige Auflösung der blockierten Erregung im Gehirn erreicht ist.

Möglich ist sogar eine spontane, unmittelbare Verarbeitung traumatischer Belastungen im Gehirn, ohne dass bewusste Erinnerungen vorhanden sein müssen.


Indikationen

  • Panikattacken

  • Angststörung

  • Depression

  • Suchterkrankungen

  • Leistungs- und Auftrittsblockaden

  • akute, komplexe und einfache Traumata

  • posttraumatische Belastungsstörungen

  • Bindungsstörung

  • Schlafstörungen

  • Essstörungen

  • chronische Schmerzen

  • psychosomatische Erkrankungen

Je nach Störungsbild, Komplexität der Thematik und Verarbeitungskapazität der PatientInnen beträgt die Behandlungsdauer zwischen einer Sitzung und mehreren Monaten.


Entwicklung


Hildebrand et al. konnten in einer Vergleichsstudie im Jahr 2012 zeigen, dass Brainspotting in bestimmten Fällen innerhalb von drei Therapiesitzungen zu einer signifikanten Reduktion von PTBS-Symptomen und anderen psychischen Beeinträchtigungen führen kann.


Seitdem ist die Wirksamkeit von Brainspotting in mehreren Forschungsprojekten untersucht worden.


Brainspotting hat sich dabei als wirksame Behandlung für schwere posttraumatische Belastungsstörungen bewiesen, genauso wie für andere Störungen wie beispielsweise - generalisierte - Angststörungen.


Zuletzt wurde eine Wirksamkeitsstudie im Zusammenhang mit nichttraumatischen belastenden Erinnerungen durchgeführt, die zeigte, dass Brainspotting nach etwa 40 Minuten Behandlung die gedächtnisbedingte Belastung im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant reduzierte. Dabei wurde auch eine Messung der Herzratenvariabilität verwendet, um die Objektivierung zu optimieren.


Weitere neue Forschungsprojekte befinden sich gerade in Durchführung und in Planung.


Fazit


In weniger als 20 Jahren hat sich Brainspotting von einem zunächst auch belächelten Phänomen zu einer der wirksamsten und schonendsten Traumatherapieformen entwickelt. Praxis und Forschung zeigen in dieselbe Richtung, nämlich dass die psychotherapeutischen Anwendungen weit über die klassische Traumabehandlung hinausreichen.


Selbst arbeite ich seit vielen Jahren damit und erlebe immer wieder, welch wertvoller und hilfreicher Therapiebaustein Brainspotting sein kann.


Neue erfreuliche Entwicklungen zeichnen sich bereits ab, wir dürfen gespannt sein.


Quellen:


David Grand: Brainspotting (2015)


Gerhard Preschitz: Studienimplementierung in Kooperationen - Erfahrungen und Empfehlungen am Beispiel Wirksamkeitsstudie zur Behandlungsform Painspotting bei erwachsenen Patientinnen mit chronischem Schmerz (2017)


Links:


259 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page