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  • Gerhard Preschitz

„Inneres Team“ und Schematherapie

Unsere Persönlichkeit, das Ich und seine Anteile:
Wie unser „inneres Team“ uns prägt und über die Möglichkeiten der Schematherapie




Was bringt einen lebenserfahrenen und beruflich erfolgreichen Menschen dazu, sich in Liebesbeziehungen dauerhaft so sehr unterzuordnen, dass er dadurch unglücklich wird? Warum reagiert ein äußerst gutmütiger und hilfsbereiter Mensch bei Kritik an seinem Verhalten auf einmal schroff, ablehnend und sogar beleidigend?


Fragestellungen wie diese stehen am Beginn einer näheren Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Antworten führen uns zu Persönlichkeitsanteilen und psychischen Mustern, auch Schemata genannt.

Sie kennen das ja vielleicht: Wenn wir in uns hineinhören, finden wir dort selten nur eine einzige „Stimme”, die sich zu einer bestimmten Situation oder einem Thema zu Wort meldet. Meist stoßen wir auf verschiedene innere Anteile, die sich selten einig sind und die alles daran setzen, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen.


Zunächst: Unser Temperament ist weitgehend genetisch determiniert. Und neben bestimmten motorischen Fähigkeiten, Aufmerksamkeits- und Fokussierungskompetenzen zeigen sich schon früh Tendenzen wie Zurückhaltung oder Kontaktsuche, Extraversion oder Introversion, Aktivität oder Verträumtheit.

Darauf aufbauend entstehen unsere Persönlichkeitsanteile in den verschiedenen Phasen der seelischen Entwicklung.



Schon früh erkannt und beschrieben


Bereits Sigmund Freud hat in seinem Instanzenmodell der Psychoanalyse die Existenz dreier wesentlicher Anteile (Instanzen) der menschlichen Psyche angenommen:


Dem „Über-Ich“ als größtenteils unbewusste moralische Instanz und Repräsentanz von Forderungen der Eltern und anderer einflussreicher Bezugspersonen der Kindheit und Jugend, dem „Ich“ als bewusste, handelnde Instanz und dem „Es“ als innerem Anteil der unbewussten Triebe und des Lustprinzips.


Etwas später begründete Eric Berne die Transaktionsanalyse. Sie bietet eine Möglichkeit, Kommunikation auf der Beziehungsebene zu untersuchen und geht davon aus, dass sich in jeder Persönlichkeit drei verschiedene Schichten des Ichs entwickeln: „Kind-Ich“, „Eltern-Ich“ und „Erwachsenen-Ich“. Berne nimmt an, dass, wenn Menschen kommunizieren, sie jeweils eines dieser drei „Ichs“ ansprechen. Daraus ergeben sich Möglichkeiten der Verbesserung in Kommunikationsprozessen.


Sehr anschaulich beschreibt der deutsche Psychologe Schulz von Thun in den 1990er Jahren in seinem Modell des „Inneren Teams“ die verschiedenen Typen innerer „Teammitglieder“ und nennt sie beispielsweise: Früh- und Spätmelder, laute und leise Stimmen, Stammspieler, Außenseiter, Innen- und Außendienstler oder innere Widersacher. Eines der Teammitglieder ist stets in der aktiven und spürbaren Rolle, hinzu kommt lenkend das „Oberhaupt“, das das erwachsene „Ich“ repräsentiert.


Auch in der Ego-State-Therapie nach John und Helen Watkins besitzt jede Persönlichkeit zwischen fünf und fünfzehn verschiedene innere Anteile (Ego-States), die Teile des autobiographischen Gedächtnisses sind und jedes für sich durch ein neuronales Netzwerk repräsentiert sind.





Therapeutische Möglichkeiten - Schematherapie


Welche Möglichkeiten zur Veränderung solcher innerer Anteile gibt es nun?


Hier stoßen wir ganz schnell auf die Schematherapie, eine emotionsbasierte „Technik“ der Verhaltenstherapie.


Ein Schema entsteht zunächst als „Fußabdruck“ in dem neuronalen Netz des Gehirns als Folge lang anhaltender, starker emotionaler Erregung. Wenn in einer bestimmten Situation eine Gruppe von Nervenzellen stark erregt wird, verbinden sie sich stärker miteinander und bilden eine fest verbundene neuronale Gruppe. Aus einem vorübergehenden Erregungszustand („Modus“) wird ein bleibendes Schema.

Hilfreich sind solche Schemata, um im Alltag intuitiv und ohne langes Nachdenken Entscheidungen treffen zu können und Handlungen sinnvoll setzen zu können. Oft werden sie aber zu Fallen und lassen beispielsweise einen fleißigen und engagierten jungen Menschen im Lauf der Zeit zum Workaholic werden, der dann irgendwann erschöpft zusammenbricht.


Der amerikanische Psychotherapeut Jon Kabat-Zinn bezeichnet solche Schemata entsprechend als „Autopiloten“. Nur muss man einen schlecht funktionierenden Autopiloten ausschalten können, sonst sitzt man eben in einer Falle.

Die Falle entsteht dadurch, dass wir keine Möglichkeit haben, bei einem erlebten Gefühl zu erkennen, ob es jetzt gerade neu entstanden ist oder ob es sich um die Aktivierung einer alten Nervenstruktur handelt. Ein bemerkenswertes Faktum.

Denn nur etwa 3 % der Nervenendigungen im Gehirn führen nach „außen“ zu den Sinnesorganen, d.h. 97 % sind Verknüpfungen zu anderen Nervenzellen innerhalb des Gehirnes. Man kann also sagen, das Gehirn ist „am meisten mit sich selbst beschäftigt“ (Manfred Spitzer).


Mit einer Vielzahl von emotionsaktivierenden, kognitiv-behavioralen und beziehungsorientierten Interventionen wird in der Schematherapie versucht, die primären und frustrationsnahen Emotionen des inneren Kindes aufzuspüren, sie zu stärken und zum akzeptierten Bestanteil einer erwachsenen Gesamtpersönlichkeit werden zu lassen.

Das klingt zugegebenermaßen etwas sperrig, ist in der Praxis aber ein enorm befreiender und hilfreicher Prozess.


Fazit


Wieder einmal zeigt sich: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Dieser Satz des Aristoteles gilt für Kommunikation, Komplexitätsforschung, Medizin oder Musik. Und er tut das jedenfalls für viele Aspekte der Psychologie und Psychotherapie.

Ob Instanzenmodell, Transaktionsanalyse, Ego-States oder Inneres Team: all diese Modelle beschreiben, wie sich unsere Persönlichkeit aus verschiedenen Anteilen zusammensetzt, von denen jeweils zumindest ein Anteil stets aktiv ist. Je nachdem, welche Anteile besonders aktiv sind und wie sehr sie jeweils zur aktuellen Lebenssituation passen, davon hängt à la longue ab, ob unser „Ganzes“ sich wohl fühlt oder nicht.


Seine Persönlichkeitsanteile in Einklang zu bringen, kann also ein äußerst lohnendes Therapieziel sein, um bewusste oder sogar unbewusste innere Konflikte zu reduzieren - und damit die Lebens- und Beziehungsqualität deutlich zu verbessern. Die Schematherapie ist meiner Erfahrung nach eine der effektivsten Therapieformen auf dem Weg dorthin.



Literatur


Eckhard Rödiger: „Raus aus den Lebensfallen!“ (2015)

Dagmar Kumbier und Schulz von Thun: „Aufstellungsarbeit mit dem Inneren Team: Methoden- und Praxisbuch für Gruppen“ (2016)

Robin Shapiro: „Ego-State-Interventionen - leicht gemacht: Strategien für die Teilearbeit“ (2020)

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